Die Vorgängerbauten der Lauterbacher Stadtkirche

Capella in Ludernbach
Die erstmalig 812 erwähnte „capella“ in „Ludernbach“ war vor allem eine Taufkirche, die Johannes dem Täufer geweiht war. Hierher kamen Menschen aus der gesamten Region, um sich taufen zu lassen. Die Gemeinde damals war noch sehr klein, und die wenigen Menschen, die am Gottesdienst teilnahmen, standen vor der Kapelle im Freien.

Das romanische Kirchlein
Leider ist über diesen Bau sowie über die nachfolgende romanische Kirche, die von Fulda aus gebaut wurde, nur sehr wenig überliefert. Das Kirchenschiff wurde westlich an die Kapelle angebaut, damit die Gemeinde zum Altar in Richtung Osten blickte. Der Turm wurde auf die Kapelle aufgestockt. Diese alte kleine Kirche ist vermutlich bis in die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts benutzt worden; sie besaß zunächst nur einen Hochaltar.
Im Mittelalter wurden weite Kreise der deutschen Bevölkerung von einem wahren Frömmigkeitsrausch befallen, der sich darin äußerte, dass sich arme Menschen, um Buße zu tun, öffentlich geißelten und diejenigen, die reich waren, der Kirche Altäre stifteten oder Teile ihres Besitzes schenkten. So stifteten im Jahre 1335 auch Johann von Eisenbach und sein Bruder Ritter Heinrich einen Altar zu Ehren Johannes des Täufers. Kirche und Altar erhielten in der Folgezeit reichlich Spenden. Die Lauterbacher Kirche war so zu einem beachtlichen Vermögen gelangt.
In der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts war es höchste Zeit, dass die Kirche sich den neuen Verhältnissen anpasste, denn sie war für die bedeutend angewachsene Bürgerschaft zu klein geworden. In dieser Zeit bahnte sich in Deutschland eine Landwirtschaftskrise an, so dass zahlreiche Bauern aus dem Nachbardorf Oberlauterbach ihre Heimat verließen und in die Stadt zogen, weil es dort bessere Lebensbedingungen gab. So musste eine neue, größere Kirche gebaut werden.

Neubau der gotischen Kirche
Etwa um 1370 wurde die alte Kirche abgerissen und die neue gotische erbaut. Es gibt von ihr keine Abbildungen, aber eine Grundrisszeichnung, die von einem Baumeister aus Fulda angefertigt wurde und sich jetzt im Riedeselarchiv befindet. Hiernach stand die Kirche frei zwischen der späteren Lateinschule, dem heutigen Rathaus und dem Markt. Sie hatte einen dreistöckigen Turm im Osten. Am Grundriss dieser - für den Neubau der heutigen Stadtkirche abgerissenen - Kirche lässt sich auch erkennen, dass Teile des romanischen Langhauses und der quadratische Turm im Nordosten in den gotischen Bau integriert waren. Im Innern hatte die Kirche Emporen, zu denen Treppen von außen führten, die erst 1652 Überdachungen erhielten.
Mit dem Neubau trat auch ein Patronatswechsel ein: Die neue Kirche war eine Kirche „Unserer lieben Frauen“, Johannes der Täufer war nicht länger Patron. Heute nimmt man an, dass der 8. September 1380 (Mariä Geburt) vermutlich der Tag der Kirchweihe war; ab diesem Datum wurde die Kirche für Gottesdienste geöffnet. 1398 erhielt sie einen Marienaltar. Dieser Altar stand vor dem Chor neben der Kanzel auf der Marktseite der Kirche. Urkundlich bezeugt ist die Aufstellung von insgesamt vier Altären. Am 10. Februar 1441 übergab Abt Hermann von Fulda dem Ritter Hermann Riedesel das geistliche Kirchlehen (Patronat) der Pfarrkirche zu Lauterbach.
Die Lauterbacher galten im 14.  und 15. Jahrhundert als sehr fromm. Die Kirche stellte den Kulturmittelpunkt der Stadt dar. Herrschaft und Bürgerschaft taten alles dafür, um ihr Leben im Diesseits durch ihre Freude auf das Jenseits zu verschönen.

Die Wendelskirche
Vor dem Untertor außerhalb der Stadtmauer, auf dem heutigen Gelände des Gymnasiums, stand eine weitere kleine Kirche. Sie wurde vermutlich ebenfalls im 14. Jahrhundert erbaut. Es war ein gotischer Fachwerkbau. Der Boden war mit Sandsteinplatten belegt, unter denen zahlreiche Gräber waren. Ein Dachreiter diente als Glockentürmchen.
Die Wendelskirche war ursprünglich eine Prozessionskapelle. Ende des 16. Jahrhunderts allerdings musste der Friedhof vermutlich wegen der vielen Pesttoten geschlossen werden und ein neuer wurde vor dem Untertor angelegt. Nun benutzte man die Kapelle als Totenkirche, von der aus die Toten bestattet wurden.
Dort fand während des späteren Neubaus der Stadtkirche für einige Jahre auch der sonn- und feiertägliche Gottesdienst statt. Später war sie zeitweise Pferdestall und auch Gefangenenlager. 1835 wurde die Kanzel an die evangelische Kirche in Herbstein verkauft. Die kleine Orgel und die Glocke wurden nach Rudlos gebracht. Schließlich wurde Wendelskirche 1873 abgerissen.

Das Ende der kleinen gotischen Stadtkirche
An der Nordseite des Marktes stand die mittelalterliche, kleine Stadtkirche. Sie befand sich ganz in der Nähe der Burg, die ihr in Gefahrenzeiten den notwendigen Schutz bot. Unter ihrem Chor befand sich die Gruft der Patronatsherren.
Erst 1727 war eine neue Orgel angeschafft worden. Aber bereits wenige Jahre später wurde das Gebäude baufällig, 1733 bekam sie bedenkliche Risse. Die Stadtväter und die Herrschaft waren sich zunächst nicht einig, ob man die alte Kirche nur reparieren oder einen Neubau planen sollte. Auf jeden Fall mussten die nötigen Geldmittel gesammelt werden, was bereits ab 1736 geschah, indem regelmäßig die Vierteljahreskollekten eingesammelt wurden. Sogar in Hamburg und in Frankfurt wurden Kollekten für das große Projekt, den Neubau einer Kirche, gesammelt.

Im November 1744 wurde mit dem Brechen der Steine begonnen und schließlich nahm der Riedesel´sche Baumeister Johann Schweickart den Grundriss der gotischen Kirche auf. Der Entwurf einer ersten neu geplanten Kirche von 1746 wurde verworfen. In der Folgezeit war man hauptsächlich damit beschäftigt, Geldmittel für den Neubau zu besorgen, denn das Behauen der Steine und das Heranschaffen waren deutlich teurer, als es vorhersehbar war. So lagen die Steine vor der Kirche und waren der Witterung im Sommer und im Winter ausgesetzt. Inzwischen wurde die alte Kirche immer baufälliger. Man befürchtete sogar ihren Einsturz, so dass das brüchige Mauerwerk mit Balken und Pfeilern gestützt wurde.
Der Siebenjährige Krieg zog über Deutschland hinweg und die Aufklärung begann. Die Menschen hatten in dieser Zeit andere Sorgen und niemand dachte mehr an den Bau der neuen Kirche.

Da meldete sich die alte Kirche selbst zu Wort... Über das Ereignis des 8. August 1762 berichtet ein Augenzeuge sehr ausführlich (s. Kasten).
Sofort nach dem Vorfall untersuchten Zimmerleute die Kirche und stellten fest, dass keine Gefahr bestand. Trotzdem waren von da an die Gottesdienste und Betstunden nur noch sehr schlecht besucht. So wurden die Betstunden und die Trauungen auf den Tanzboden des Rathauses verlegt, und die Gottesdienste fanden vom 15. August an in der Totenkirche (der Wendelskirche auf dem neuen Friedhof) statt. Da diese sehr klein war, wurden dort neue Bänke angelegt. Außerdem wurde die Gemeinde wurde in zwei Bezirke geteilt, einer durfte vormittags, der andere nachmittags erscheinen. Taufen wurden zuhause gefeiert.

Nach diesem Ereignis beauftragte das Konsortium (Herrschaft und Stadtrat) nun doch endlich die Baumeister Georg und Georg Veit Koch aus Rodach mit dem Neubau der Kirche.

Jutta Heß

An diesem Vormittag war die Kirche mit Menschen angefüllt. Mitten in der Predigt des Inspectors Schmitt entstand auf der Seite nach den Schulhäusern ein „Geräßel“ (Geräusch), was nach Meinung vieler einer einfallenden Mauer, anderer schießender Gewehre, glich. Im ersten Moment glaubten die erschrockenen Menschen, die Kirche stürze ein, was viele auch laut aussprachen. Bei den Männern brach eine Panik aus und sie drängten nach draußen. Die Frauen folgten, man sprang wohl über Stühle und Bänke, ein großer Tumult entstand. Die Schulkinder begannen zu weinen, aus Angst in dem Gedränge erdrückt zu werden. Viele wurden in den Kirchentüren fast zerquetscht, andere fielen zu Boden.
Der Erbmarschall, der mit zwei Vettern in der Kirche war, fiel im Getümmel ebenfalls um und wurde ohnmächtig. Inspector Schmitt verließ die Kanzel und wollte ebenfalls ins Freie, was ihm aber nicht gelang. Also bestieg er die Kanzel wieder.
Vorn in der Kirche hatte man kaum etwas von dem verdächtigen Geräusch gehört, man dachte eher, es brenne in der Stadt oder Soldaten seien eingedrungen und plünderten.
Als man sah, dass die Kirche nicht einstürzte, legte sich die Aufregung und die Zurückgebliebenen führten den Gottesdienst zu Ende und erhielten das Abendmahl. Nun gab es in der Stadt einen großen Tumult, die Leute liefen zusammen und wollten die eingestürzte Kirche sehen, um die Kinder und die Toten zu retten. Doch alles war umsonst: „denn die Kirche blieb unbeweglich stehen“.

 
Marktplatz mit Vorgängerkirche
Marktplatz mit Vorgängerkirche aus "Lauterbach in Hessen" von Dr. Karl Siegmar Baron von Galéra